Trotz der hervorragenden Matratzen hat Karin nur mäßig geschlafen. Für sie war es letzte Nacht zu laut, zu heiß und zu ungewohnt in dem coolen Apartment im 10. Stock. Alexander dagegen hat selig vor sich hin gemummelt und von allem nichts mitbekommen.
Heute wird das Frühstück in der modernen Miele-Küchenzeile selbst zubereitet: Tee mit Milch, Paprika und Paradeiser, Spiegeleier mit Chorizo, Käse und grünen Böhnchen. Dazu Vollkorntoast und Butter, Orangensaft und jeder ein Schälchen Skyr. Sehr gut und sehr zweisam!
Schon während des Frühstücks fällt uns auf, wie ausgestorben die Stadt ist. Kein Bim, keine Menschen. Die halbe Nacht war Hallo auf den Straßen und die Bim ist im Minutentakt um die Kurve gequietscht und jetzt… nichts.
Nach dem Frühstück brechen wir auf zu unseren heutigen Tageszielen. Draußen ist es etwas grau, aber trocken und laut Wetterbericht soll es so bleiben bzw. sogar noch besser werden.
Leiden, Waag |
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Unser erstes Ziel heute ist die alte Universitätsstadt Leiden. Durch 800 Jahre sichtbarer Geschichte könne man hier spazieren und diese für sich entdecken, so sagt die Stadt von sich selbst.
Wir parken am Kaasmarkt, spazieren dem Oude Rijn entlang zur Waag. Dort lassen wir zunächst auf einen Orientierungskaffee nieder. Bei de Waag handelt es sich um die Stadtwaage von Leiden, die hier im 15. Jahrhundert erstmals aus Holz errichtet wurde. Der Aalmarkt, auf dem wir hier unseren Kaffee trinken, an dem Oude Rijn, Nieuwe Rijn und Mare zusammentrafen, war der ideale Platz für die Waage.
200 Jahre nach ihrer ersten Aufstellung wurde die Holzwaage dann durch ein Gebäude im Stil des niederländischen Klassizismus ersetzt. Über dem Eingang des Gebäudes sieht man immer noch das Relief von Verhulst, auf dem ein Wiegevorgang abgebildet ist. Mehrere Männer hieven einen schweren Käselaib auf die eine Waagschale, während die zweite Schale von einem weiteren Mann gesichert wird. Schwerstarbeit so ein Wiegevorgang!
Heute ist die ehemalige Stadtwaage eben ein Café-Restaurant und quasi das Wohnzimmer von Leiden.
Gestärkt und orientiert machen wir nun einen Spaziergang über Kirchen und Grachten. Den Anfang macht die Hartebrugkerk, die nach der Brücke gleich daneben benannt wird. Sie ist eine sogenannte Wasser-Staatskirche. Diese Kirchengebäude wurden zwischen 1824 und 1875 mit staatlicher Subvention erbaut und unterlagen hinsichtlich Planung und Bau dem Ministerium für Wasserwirtschaft.
Von den Leidenern wird diese, übrigens katholische, Kirche manchmal auch Coelikerk genannt. Das kommt wiederum von der lateinischen Inschrift über dem Eingangsportal: „Hic Domus Die est et Porta Coeli” (Dies ist das Haus Gottes und das Tor zum Himmel).
Leiden |
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Vom Ende des 16. bis ins 18. Jahrhundert verhalf die Tuchindustrie der Stadt zu Reichtum. Es gibt viele alte Grachtenhäuser, über deren Eingangstoren man Reliefs mit diesbezüglichen Szenen sehen kann. Metalltafeln erzählen geschichtliche Hintergründe zu den hübsch renovierten Gebäuden.
Unser Spaziergang führt uns auch zu Rembrandts Geburtshaus. 1606 erblickte der Maler als fünfter Sohn eines Müllers hier das Licht der Welt, wie es so schön heißt. Und Licht spielte natürlich in seinen Werken eine ganz bedeutende Rolle.
Obwohl Rembrandt van Rijn oft eher mit Amsterdam in Verbindung gebracht wird, so war es doch Leiden, wo sich der junge Maler entfaltete und ihm eine deutliche Unterscheidung von anderen Künstlern seiner Zeit gelang.
Leiden, Tor |
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Auf dem Platz vor seinem Geburtshaus steht eine Statue des jungen Malers, der ein Selbstbildnis betrachtet. Hier startet auch der Junger Rembrandt-Spaziergang, bei dem man auf den Spuren des Malers durch Leiden wandeln kann.
Wir wandeln vorbei an kleinen Grachtenhäuschen, bunten Läden und über Brücken, bis wir am Unigelände sind.
Die Universität von Leiden, deren Motto „Ein Bollwerk der Freiheit” lautet, wurde 1575 nach dem Belagerungsende durch die spanischen Truppen im Achtzigjährigen Krieg gegründet. Sie ist die erste Uni der Niederlande und zusammen mit der Bibliothek zählt sie zu einem bedeutenden wissenschaftlichen Zentrum.
Leiden, Hortus Botanicus |
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Leiden, Hortus Botanicus |
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Unter den gehlehrten Wissenschaften an der Universität Leiden ist auch die Medizin, zu deren Ausbildungshilfsmittel Kräuter aus dem 1587 angelegten Heilkräutergarten herangezogen wurden.
Carolus Clusius, der 1573 bis 1576 Hofbotaniker bei Kaiser Maximilian II. in Wien war und mit seinem Werk „Stirpium Nomenclator Pannonicus” die erste österreichische Pflanzenkunde schuf, erklärte sich 1592 bereit als erster Präfekt und Hortulanus nach Leiden zu kommen. Seinen Pflanzplänen sind sowohl bekannte als auch zahlreiche neue Heilpflanzen im Hortus zu verdanken.
Dieser Botanische Garten hat es Karin natürlich ganz besonders angetan und sie möchte ihn unbedingt besuchen. Alexander ist nicht so ein brennender Pflanzenfan und wartet inzwischen lieber im Gartencafé.
Besonderes Highlight des Hortus Botanicus sind die Glashäuser, wobei sich in einem davon ein Teich mit der Riesenseerose Victoria Amazonica befindet. Dass die Riesenseerose nur einmal im Jahr blüht ist zwar ein Märchen, dafür stimmt es wirklich, dass die Blätter so groß und kräftig sind, dass ein Kleinkind problemlos darauf Platz nehmen kann. Sehr beeindruckend!
Leiden, Hortus Botanicus |
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In weiteren Glashäusern gibt es allerhand tropische Blüten zu bestaunen. Allen voran seien die Jadeblüten mit ihren unwirklich türkisfarbenen Blüten erwähnt. Aber auch verschiedene Orchideen, fleischfressenden Pflanzen und Sukkulenten sind allesamt wundersam anzusehen.
Draußen, im Freigelände, gibt es einen Rosengarten mit japanischen Einflüssen, ein Medizinalgarten, und auch einen Waldgarten mit Bachlauf. Rund 1 Stunde später taucht Karin beseelt aus der Gartenwelt wieder beim Kaffeehaus auf, wo Alexander mittlerweile schon ungeduldig wartet. So viele Blumen waren da zu sehen?
Wir setzen den Spaziergang fort und finden 2 der Hofjes, die im Reiseführer beschrieben wurden. Die Leidener Oberschicht hat diese Häuser mit kleinem, umschlossenen Innengarten, den Armen und Alten zur Verfügung gestellt. Eigentlich wirklich sehr sozial.
Leiden, Hortus Botanicus |
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Leiden, Sonnenuhr |
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Leiden, Jan Pesijnshof |
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Die meist liebevoll gepflegten Innenhöfe sind wahre Oasen in der Stadt, in die kein Lärm von außen dringt. Sehr idyllisch!
In einem der Hofjes fängt ein älterer Bewohner ein Gespräch mit uns an. Er war auch schon mal in Österreich, vor 50 Jahren oder so. Hat nur beste Erinnerungen an unser Heimatland und zeigt uns, wie tolle Fotos er auf seinem Handy machen kann. Hm, sehr nett und sehr hübsch, aber leider müssen wir weiter, es rufen noch so viele Sehenswürdigkeiten!
Wir gehen die Route unseres Spaziergangs fertig. Eigentlich hätten wir jetzt Hunger, aber Parkzeitläuft ab und wir wollen nicht noch einmal nachladen. Das ist halt der Nachteil an so Zeit gebundenen Parkgebühren, die man im Voraus bezahlt. Na, wir werden schon nicht vom Fleisch fallen und eben später etwas essen.
Den Haag, Plein |
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Den Haag, The old Ministry of Justice |
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Unser nächster Halt ist Den Haag, Parlaments- und Regierungssitz der Niederlande. Wir finden eine zentrale Parkgarage gleich beim Stadshuis. Schon der Weg zum Justizpalast bzw. dem Platz davor ist nett. Alte Häuser vor neuen Wolkenkratzern. Sieht gut aus! So eine archetektonische Spannung lieben wir ja sehr.
Nach nur wenigen Schritten erreichen wir sozusagen das Zentrum des Zentrums von Den Haag, den Plein. Alle wichtigen Sehenswürdigkeiten sind sozusagen gleich ums Eck und man kann hier unter schattigen Bäumen draußen sitzen, essen, trinken und Leute anschauen. Passt! Wir haben eh Hunger.
Den Haag, Het Paleis |
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Escher Museum |
Den Haag, Het Paleis |
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Escher Museum |
Den Haag, Teich Hofvijver |
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Wir setzen uns an einen freien Tisch eines Lokals namens Millers und bestellen 2 Bier und ein Pulled Pork Sandwich mit Sourcream und Kräutern. Die Biere kommen, das Sandwich nicht. Unserem Kellner fällt’s nicht auf und er schaut weder her noch kommt er vorbei.
Nach 20 Minuten fangen wir einen seiner Kollegen ab und fragen nach unserem Essen. Ahja, er ist nicht für unseren Tisch verantwortlich, der Kollege kommt gleich. Der Zuständige meint dann, es müsse wohl ein Systemfehler sein, denn er habe unsere Bestellung sicher eingegeben. Bestimmt kommt das Sandwich gleich.
Den Haag, Het Paleis |
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Escher Museum |
Den Haag, Het Paleis |
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Escher Museum |
Es dauert dann doch noch ein paar Minuten länger und was kommt, ist nicht so berauschend, da eher trocken. Die Sourcream ist leider auch nur in Spurenelementen vorhanden.
Wir essen, zahlen und wollen gehen. Der Zuständige macht den Fehler zu fragen, ob eh alles in Ordnung war und wie das Sandwich geschmeckt hat. Karin meint „Ehrlich gesagt war es sehr trocken”. Der Kellner möchte das noch rechtfertigen indem er anfängt über die zu erwartende Feuchtigkeit eines Pulled Pork Sandwiches zu diskutieren. Nicht, dass es ihm leid täte oder sonst irgendwas Empathisches. Von Reklamationsmanagement hat der Herr Ober wohl noch nie etwas gehört. Danke, uns reicht es jetzt. Wir zahlen und gehen.
Den Haag, Het Paleis |
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Escher Museum |
Nächster Halt ist ein kurzer Stopp beim Binnenhof, um Fotos zu machen. Das ehemalige Jagdschloss des Grafen von Holland aus dem 13. Jahrhundert ist heute der Amtssitz des niederländischen Ministerpräsidenten. Was einst ein einzelnes Jagdschloss war, wurde im Laufe der Zeit mehr und mehr erweitert, sodass die vielen verschiedenen Gebäude schließlich den Binnenhof bildeten. Umgeben ist er von allerhand modernen Bauten, die allesamt politische Institutionen beherbergen. Während man hier herumflaniert, kann man schon mal einem Minister über den Weg laufen.
Dann laufen wir auch schon weiter zum Museum Escher in het Paleis. Dieses Museum in der früheren Winterresidenz der Königin Wilhelmina wollen wir unbedingt besuchen und achten daher auf die Zeit. Es gefällt uns auch wirklich gut, was da an Werken des Meisters der Perspektive ausgestellt ist. Teilweise auch für die Besucher erlebbar. Sehr nett!
Den Haag, Binnenhof |
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Rittersaal |
Maurits Cornelis Escher, der uns vor allem durch seine Darstellung unmöglicher Figuren (bergauf fließendes Wasser, Treppen, die gleichzeitig hinauf als auch hinunter zu führen scheinen), lebte von 1898 bis 1972. Er war eigentlich ein recht schlechter Schüler, musste zwei Klassen der Grundschule wiederholen und hatte trotz seiner großartigen zeichnerischen Fähigkeiten schlechte Noten im Kunstunterricht.
Während er sich mit einer Akzeptanz als Künstler schwer tat, da seine Werke nicht der klassischen bildenden Kunst entsprachen, wurden seine Illustrationen umso mehr von beispielsweise Mathematikern und anderen Wissenschaftlern geschätzt. Das mag auch dazu geführt haben, dass ein 1985 entdeckter Asteroid nach Escher benannt wurde.
Wir sind jedenfalls von den dargestellten Paradoxen sehr fasziniert.
Nach den Museumsbesuch ziehen wir noch ein wenig durch Den Haags Altstadtgässchen, die allesamt ausgesprochen hübsch sind. Viele alte Fassaden gibt es zu bewundern, vor allem Jugendstil, denn Den Haag gilt als niederländische Hochburg des Jugendstils. Aber auch noch ältere Gebäude bzw. Geschäftsportale können wir bei einer Drogerie, einem Herrenausstatter und anderen traditionsreichen Lokalen bestaunen.
Den Haag, Buitenhof |
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Jugendstil |
Während unseres Rundgangs kaufen wir uns Orangensaft to go und teilen einen Eisbecher mit den köstlichen Sorten Snickers & Schoko-Kirsch. Inzwischen ist es ziemlich heiß geworden und jeder Platz und Park wurlt nur so vor Leuten, welche die Sonne bei Getränken und Plaudereien genießen.
Wir entschließen uns, zum Abschluss unseres heutigen Tagesausfluges noch ans Meer zu fahren und Schevenigen zu besuchen.
Scheveningen, Promenade |
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Grand Hotel Kurhaus |
Auch wenn dieser Stadtteil Den Haags nur 6km vom Zentrum entfernt liegt und mit mehreren Straßenbahnlinien erreichbar wäre, fahren wir doch mit unserem Mietauto hin. Die anschließende Parkplatzsuche im beliebten Ferienort hätte uns fast eines Besseren belehrt und ziemliche Nerven gekostet.
Ein legaler öffentlicher Parkplatz ist nicht zu finden und selbst bei den Parkhäusern stehen die Autos Schlange und man muss warten, dass ein Wagen ausfährt, damit ein anderer hinein kann.
Langweilig zwar, aber wir die Wartezeit ist ob der Unmengen an Besucher:innen doch auszuhalten.
Als wir dann endlich unser Auto abgestellt haben, gehen wir ein bisschen promenieren. Zu sehen gibt es das neue Kurhaus, das 1884 aus dem alten, städtischen Badehaus ein Grandhotel machte und selbiges krönte. Auch ein alter Hafen ist noch vorhanden, der uns jedoch ehrlich gesagt nichts rausreißt.
Wir schlendern der Promenade entlang zum Pier. Dort lehnen wir uns mit je einem Corona ans hölzerne Geländer, um übers Meer in die Sonne zu schauen. Das hat schon was!
Es gibt hier auch einen Turm mit Bungee und ZipLine. Beim Bungee sehen wir ein Paar gleichzeitig springen. An den Füßen sind sie aneinander gebunden, oben müssen sie einander selbst festhalten. Die beiden werden regelrecht aus der Kabine in den Abgrund geschubst. Ob es sich womöglich um eine Hochzeit handelt? Danke, für uns wäre sowas nichts!
Scheveningen, Pier |
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Bungy Turm |
Als wir schließlich zurück zur Promenade gehen, weil wir hungrig sind und jetzt Futter suchen wollen, wird der Pier evakuiert. Warum? Wir finden es nicht heraus.
Abendessen gibt es für uns in einer Strandbar. Turf and Surf sozusagen, denn Alex wählt Spareribs, Karin stürzt sich auf Muscheln. Beides schmeckt uns sehr gut.
Wir kommen nicht umhin am Nebentisch die deutsche „Therapiestunde” eines Paares mit vermittelnder Freundin mitanzuhören. Ohje, dabei scheint Sonne so schön…
Satt und zufrieden verlassen wir Scheveningen und fahren zurück zu unserem Apartment in Rotterdam. Dort angekommen ruhen wir uns zuerst ein bisschen von den vielen Ereignissen des heutigen Tages aus, dann geht Karin zum Wäschewaschen in gemeinschaftlichen Waschkeller.
Das Waschen klappt super, doch der Trockner macht Mätzchen. Er schluckt zwar den Token, verlangt aber dann eine Bezahlung und lässt sich nicht starten. Hmpf! Die Rezeption ist heute nur bis 21:00 Uhr besetzt und das war vor 95 Minuten.
Scheveningen, Grand Hotel Kurhaus |
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Tja, wir breiten also die nasse Wäsche im Apartment auf und hoffen, dass a) alles bis morgen trocknet und b) die Rezeption uns die Münze vergütet. Immerhin sind das auch €3 - für nix.
Nach dem langen Tag und der Waschaktion sind wir nun schon wirklich sehr müde und es geht somit nur mehr ab ins Heiabett. Morgen stehen Delft und/oder Gouda auf dem Programm. Gute Nacht!